Band 8

Roland Winkler

Gelehrte Worte über leere Wörter, Das Xuzi shuo von Yuan Renlin und die Partikeln in der traditionellen chinesischen Philologie, Stilistik und Sprachwissenschaft

1999 / DM 56.00 / SFr 52.00 / ÖS 408.00, vi, 312 S. - 21 × 14,8 cm, broschiert, ISBN: 3-87276-838-7

Vorwort

Die vorliegende Arbeit beruht auf einer Dissertation im Fach Sinologie, die im Jahre 1997 an der Philosophischen Fakultät für Altertumskunde und Kulturwissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität München eingereicht wurde.

In der westlichen Sprachwissenschaft stellen die Partikeln gleichsam Fremdkörper dar, die - wenn überhaupt - nur am Rande behandelt werden, da sie nicht recht in das von Syntax und Morphologie dominierte System der Grammatik passen wollen. Im traditionellen China hingegen entwickelte sich im Laufe der Zeit eine von semantischen und stilistischen Gesichtspunkten ausgehende Unterscheidung in " volle " und " leere " Wörter bzw. Wortfunktionen. Prototypische " Vollwörter" waren danach konkrete Dinge bezeichnende Nomen, prototypische "Leerwörter" die auf keine außersprachliche Realität verweisenden grammatischen Funktionswörter bzw. Partikeln.

Will man das Klassische Chinesisch erlernen, ist eine eingehende Beschäftigung mit Funktionsweise und Verwendung der Partikeln unumgänglich, da über die morphologischen Eigenschaften dieser Sprachstufe des Chinesischen kaum etwas bekannt ist. Für das Klassische Chinesisch spielt die Kenntnis der Partikelfunktionen eine ähnlich wichtige Rolle wie die Beherrschung der Flektionsparadigmata im Falle des Lateinischen oder Griechischen. Aus diesem Grund begann ich mich dafür zu interessieren, wie in China vor dem Einfluß westlicher sprachwissenschaftlicher Theorien über die Partikeln nachgedacht wurde, insbesondere da dort zweitausend Jahre lang eine dem Klassischen Chinesisch nachempfundene Schriftsprache gelehrt und gelernt wurde. Das "Xuzi shuo", dessen Übersetzung und Analyse den Schwerpunkt dieser Arbeit bildet, ist ein bislang wenig beachtetes Handbuch über Partikeln für den Schulunterricht aus dem frühen 18. Jahrhundert und repräsentiert eine solche von Einflüssen westlicher Theorien noch unberührte Sicht auf das Klassische Chinesisch.

Von den vielen Menschen, die am Entstehen dieser Arbeit beteiligt waren, möchte ich zuerst meinem verehrten Lehrer, Prof. Wolfgang Bauer, danken, der ihren Abschluß leider nicht mehr erleben konnte. Auch Prof. Michael Friedrich bin ich sehr zu Dank verpflichtet, daß er meine Betreuung übernommen hat und für die vielen Stunden, die er meinen " leeren Wörtern " widmete, ob in langen Gesprächen oder beim Durchsehen meiner Entwürfe. Prof. Helmolt Vittinghoff sei herzlich gedankt, daß er sich kurzfristig bereit erklärte, die Zweitkorrektur zu übernehmen.

Die traditionelle chinesische Sprachwissenschaft ist im Westen wenig bekannt. Das gilt besonders für den Bereich der Grammatik. Ziel dieser Untersuchung war es, mehr darüber in Erfahrung zu bringen, wie im traditionellen China vor dem Einfluß westlicher sprachwissenschaftlicher Theorien über Grammatik nachgedacht wurde. Dafür bieten sich aus verschiedenen, nicht zuletzt sprachtypologischen Gründen vor allem Abhandlungen über Partikeln, also grarnmatische Funktions- oder Strukturwörter, an.

Nach einem historischen Überblick über die Entwicklung des Partikelbegriffs, einer Diskussion wichtiger sprachwissenschaftlicher Kategorien (wie "leer/voll", "statisch/dynamisch") und dem Versuch einer Klassifikation der traditionellen Bezeichnungen für Unterarten von Partikeln wird das Xuzi shuo ("Erläuterung der Leerwörter") von Yuan Renlin, ein bislang wenig beachtetes Handbuch aus dem frühen 18. Jh., vorgestellt und analysiert. Im Rahmen dieser Untersuchung ist es vor allem deshalb von besonderem Interesse, weil der Autor explizit nur die wichtigsten Funktionen der seiner Meinung nach wichtigsten Partikeln erläutern wollte. Die von ihm verwendete Terminologie hat über das Mashi wentong nicht nur die moderne chinesische Linguistik beeinflußt, sondern zeugt auch von einer Perspektive, die im Vergleich zu westlichen Theorien stärker von der einem sprachlichen Ausdruck zugrundeliegenden kornmunikativen Intention eines Sprechers ausgeht. In dieser Hinsicht lassen sich einige interessante Parallelen zur jungen Disziplin der Diskurslinguistik feststellen.

Im Anhang findet sich eine vollständige und annotierte Ubersetzung des Xuzi ~huo, ein ter~ninologisches Glossar und eine Statistik der ca. 300 als Beispiele verwendeten Zitate.

Abstract: Learned words about empty words. The Xuzi shuo written by Yuan Renlin and the particles in traditional Chinese philology, stilistics and linguistics

Traditional Chinese linguistics is still to a large extent unknown in the West, especially as far as the field of grammar is concerned. The aim of this study is to enhance our understanding of the way Chinese scholars reflected upon grammatical problems in times preceding the influence of Western linguistic theories. For various reasons which are discussed in this study, works on grammatical particles are the most suitable material for this kind of research.

The first chapter comprises a brief historical and terminological survey: the development of grammatical particles as a concept, an introduction of the major traditional works on particles, the explanation of some important linguistic categories (like "empty/full", "static/dynamic") and a tentative classification of the diverse traditional subtypes of particles.

The second chapter introduces an almost unknown early 1 8th century particle handbook written by a schoolteacher named Yuan Renlin. Accordingly the Xuzi shuo ("Explanation of the empty words") was primarily meant to be used in traditional education which consisted mainly of the study of the canonical works and their commentaries. What makes the Xuzi shuo especially interesting within the framework of this study is the fact that Yuan Renlin explicitly tried to explain only the main functions of only the most important particles. Some of his fine distinctions are unparalleled to the present day. A1though the theory he uses to analyse the particles is easily refutable from the standpoint of modern linguistics, his approach is highly interesting and shows astonishing parallels to modern discourse linguistics. Remarkably Ma Jianzhong, the author of the first Chinese grammar based on Western linguistics, adopted considerable portions of the Xuzi shuo, which thus also influenced modern Chinese linguistic terminology.

The appendix of this study comprises a complete translation and annotation of the Xuzi shag, followed by a terminological glossary and a statistical evaluation of the nearly 300 citations used as examples.