CHUN 10 (1994)

BEITRÄGE

  • Barbara Guber-Yogeshwar: Chinesisch am St.-Anna-Gymnasium: Erfahrung und Erwartung
  • Klaus F. Autenrieth: 24 Jahre Erfahrung mit Chinesisch-AGs und Kontakte zu einer chinesischen Mittelschule
  • Helga von der Hahmer/ Cheng Yeng: Deutsch-chinesische Schulkontakte. Acht Jahre Chinesischunterricht. Fünf Jahre Schüleraustausch mit Shanghai: Ergebnisse und Perspektiven
  • Hans-Christoph Raab: Aspekte der Qualifikation von Chinesischlehrern an Gymnasien
  • Raoul David Findeisen: Wahlfachkurs "Moderne chinesische Literatur" an einem Gymnasium
  • Barbara Smielowski: China im Geographieunterricht
  • Roger Billion: Zu den Entwicklungen und Problemen des Chinesischunterrichts an französischen Gymnasien
  • Regine Holzer: Japanisch in der Schule
  • Friedhelm Denninghaus: Die Bedeutung des Chinesischen und die sich abzeichnende multimediale Revolution in der Fremdsprachenpädagogik
  • Wu Jianhong: Der richtige Ton und das richtige Zeichen
  • Klaus Kaden: Entwicklung und aktuelle Situation des Radikalsystems zum Ordnen und Nachschlagen der chinesischen Schriftzeichen
  • Wu Shu-hsiung: Chinesisch als Fremdsprache. Einige Bemerkungen zum Spracherwerb in der frühen Lernphase
  • Peter Kupfer: Moderne Schriftzeichenforschung und Schriftzeichendidaktik
  • George Y.C. Wang: Materials for University-Level Beginning Chinese: How Well Do Beijing University's Textbooks Meet the Needs?

CHINESISCHUNTERRICHT IM ÜBERBLICK

  • Elisabeth Kurz: Der Chinesischunterricht an Frankreichs Gymnasien

REZENSION

  • Elisabeth Kurz: Unschuld, Paul U.: Chinesisch lesen lernen. München, 1992
  • Harald Richter: Gemmeck, Thomas J. und Schmidt, Wolfgang G.A.: Grundkurs Wirtschaftschinesisch. Stuttgart, 1992
  • Anton Lachner: Guder-Manitius, Andreas: Chinesisch-deutsches Lernwörterbuch. Berlin, 1991

NACHRICHTEN

MITTEILUNGEN

Tagung "China/Chinesisch in Schule und Unterricht"

Vom 14. bis 16. Mai 1993 veranstaltete das Landesinstitut für Schule und Unterricht des Landes Nordrhein-Westfalen in Soest in Zusammenarbeit mit dem Fachverband Chinesisch e.V eine Tagung zum Thema "China/Chinesisch in Schule und Unterricht".

Die Tagung fand in den Räumen des Landesinstituts in Soest statt. Mehr als 40 Teilnehmer waren aus der Schweiz, aus Frankreich und allen Teilen der Bundesrepublik angereist. Nach den Veranstaltungen 1985 und 1986 in Soest sowie 1989 in Spever (vgl. CHUN Nrn. 3, 4 und 7) war dies die größte Tagung, die bislang im deutschsprachigen Raum zum Thema "Chinesisch an weiterführenden Schulen" stattgefunden hat.

Dr. Eike Thürlann vom Landesinstitut, Frau Jacobs vom Kultusministenum Nordrhein-Westfalen, Prof Dr. Per Fischer, Botschafter a.D. der Bundesrepublik Deutschland in China, Prof Zheng Jiyao, Botschaftsrat von der Botschaft der VR China in Bonn, und OStR Peter Wittke vom Fachverband Chinesisch begrüßten die Teilnehmer.

Sieben Themenbereiche bestimmten das umfangreiche Programm: 1. Bestandsaufnahme: Chinesischunterricht an weiterführenden Schulen. 2. die neuen Richtlinien Chinesisch in der gymnasialen Oberstufe in Nordrhein-Westfalen und ihre Umsetzugsmöglichkeiten 3. Unterrichtserfahrungen, Projekte, Lehrpläne; 4. Orientierungen im gymnasialen Chinesischunterricht; 5. die Darstellung Chinas in deutschen Schulbüchem und im Schulunterricht; 6. deutsch-chinesische Schulkontakte: 7. Perspektiven der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Chinesischlehrer/inne/n an weiterführenden Schulen. Im Mittelpunkt standen also nicht didaktische Fragen, sondern die Institutionalisierung des Chinesischunterrichts an weiterführenden Schulen.

In einer Bestandsaufnahme: Chinesischunterricht an weiterführenden Schulen gaben Peter Kupfer (Germersheim) und Roger Billion (Bordeaux), Geschäftsführer der 1984 gegründeten Association Française des Professeurs de Chinois, einen Überblick über den aktuellen Stand in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich. Anders als in Deutschland ist Chinesisch seit 1966 an französischen Schulen als Abiturprüfungsfach etabliert. Ende der 80er Jahre gab es mehr als 3.000 Chinesischlehrende und über 10.000 -lernende. Zur gleichen Zeit wurden in Deutschland rund 1.000 Schüler in Chinesisch als fakultativer Fremdsprache unterrichtet (alte Bundesländer), derzeit bestehen an 30 Gymnasien in neun Bundesländern Chinesisch-Arbeitsgemeinschaften. Über die Sprachenpolitik und die Fremdsprachendidaktik der Zukunft referierte Friedhelm Denninghaus (Dortmund). Er forderte eine auf Fachsprachen konzentrierte Vermittlung des Chinesischen mit computergestützten Unterrichtsphasen.

Die Referate von Eike Thürmann (Soest) über neue Entwicklungen im Fremdsprachenunterricht in Nordrhein-Westfalen und von Regine Holzer (Soest) über Japa-nisch an der Schule leiteten hin zu einem zentralen Thema der Tagung, den Neuen Richtlinien Chinesisch in der gymnasialen Oberstufe in Nordrhein-Westfalen und ihren Umsetzungsmöglichkeiten. Andrea Kraatz (Soest) und Peter Wittke (Soest) stellten den Richtlinienentwurf vor, der von ihnen sowie Huaqi Dan, Friedhelm Denninghaus, Peter Kupfer, Anton Lachner, Christoph Raab und Konrad Wegmann ausgearbeitet worden war. Die Lernziele werden wie folgt definiert: (1) Erwerb kommunikativer Kompetenzen in der chinesischen Sprache; (2) Erwerb der für diese kommunikativen Kompetenzen notwendigen sprachlichen Mittel; (3) Erwerb von Kenntnissen und Einsichten in die historischen Grundlagen und gegenwärtigen soziokulturellen Bedingungen der Lebenswirklichkeit in China bzw. im chinesischen Sprachraum. Dieser Entwurf bedeutet einen wichtigen Schritt hin zur Institutionalisierung des gymnasialen Chinesischunterrichts im deutschsprachigen Raum und wird die Erstellung ähnlicher Richtlinien in anderen Bundesländem hoffentlich beschleunigen. - Anschließend referierte Manfred Frühauf (Bochum) über Lehrerfortbildungskurse am Sinicum in Bochum.

Aus der Schulpraxis berichteten die Referate, die unter dem Tagungspunkt Unterrichtserfahrungen, Projekte, Lehrpläne zusammengefaßt waren. Barbara Guber-Yogeshwar (München) sprach über die Erfahrungen im Chinesischunterricht an einem Münchner Gymnasium und über die Erwartungshaltung der Schüler. Anregungen für China-Projekte und China-Tage, die helfen, die erforderliche Anzahl von interessierten Schülern zur Bildung einer Chinesisch-AG zu gewinnen, gaben Reinhold Wandel (Berlin), Karl-Heinz Jansen (Wermelskirchen) und Andrea Kraatz (Leverkusen-Opladen).

Orientierungen im gymnasialen Chinesischunterricht boten die anschließenden Beiträge von Wu Jianhong (Frankfurt), der eine Lehrmethode zur Vermittlung von Aussprache, Satzmelodie und Wortschatz im Chinesischunterricht für Anfänger vorstellte, sowie von Raoul David Findeisen (Basel) über die Einrichtung eines Wahlfachkurses "Moderne chinesische Literatur" an einem Schweizer Gymnasium. Anton Lachner (Bem) sprach über Probleme der Lexik in Lehrmatenalien für Chinesisch. Die Darstellung Chinas in deutschen Schulbüchern und im Schulunterricht ist vielfach veraltet, so das Fazit einer Untersuchung, die von Yang Jihong (München) vorgestellt wurde. Über Möglichkeiten und Grenzen, China im Geschichts- bzw. Geographieunterricht zu behandeln, sprachen Volker Kneisel (Soest) und Barbara Smielowsky (Bochum).

Deutsch-chinesische Schulkontakte bilden einen wichtigen Beitrag zur Motivation der Chinesischlernenden. Klaus Autenrieth (Lorch) berichtete von 24 Jahren Erfahrung mit Chinesisch-AGs und Kontakten zu einer chinesischen Mittelschule. Cheng Yeng und Helga von der Nahmer (Hamburg) stellten Ergebnisse und Perspektiven des Hamburg-Shanghaier Schüleraustausches vor.

Über Perspektiven der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Chinesischlehrer/innen an weiterführenden Schulen sprachen Elisabeth Kurz (Lörrach), Hans-Christoph Raab (Würzburg) und Peter Wittke (Soest). In den Referaten wie auch in vielen Diskussionsbeiträgen wurde immer wieder auf die unbefriedigende Lehrkraftsituation hingewiesen: Bislang mühen sich Hobbysinologen (ausgebildete Gymnasiallehrer) und Hobbylehrer (Universitätssinologen und Muttersprachler) nach bestem Wissen (und mit Erfolg!), den wachsenden Bedarf an Chinesischunterricht zu befriedigen. Doch erst wenn Chinesisch als Hauptfach bei der Lehramtsprüfung zugelassen wird, wird der Chinesischunterricht in der gymnasialen Oberstufe die Qualität haben, die sich alle Tagungsteilnehrner wünschen.

Anschließend wurden in Arbeitsgruppen Argumente und Forderungen gesammelt, die im Herbst 1993 als »Soester Erklärung« an alle Kultusbehörden und sinologischen Institute bundesweit verschickt worden sind.

In der Abschlußbesprechung zeigten sich alle Teilnehmer sehr befriedigt über Verlauf und Ergebnisse der Tagung. Nicht wenig trug die hervorragende Organisation seitens des Landesinstituts zum Erfolg der Tagung bei.

Ruth Cremerius

Soester Erklärung zur Fremdsprache Chinesisch

an Schulen im deutschsprachigen Raum

Vom 14 bis 16. Mai 1993 fand am Landesinstitut für Schule und Weiterbildung in Soest, Nordrhein-Westfalen, eine Tagung zum Thema "China/Chinesisch in Schule und Unterricht" statt. Es war die erste länderübergreifende Veranstaltung dieser Art in der Bundesrepublik Deutschland und im deutschsprachigen Raum überhaupt. Hauptanlaß war die Fertigstellung der nordrhein-westfälischen Richtlinien für Chinesisch in der gymnasialen Oberstufe. Sie markiert den ersten wichtigen Schritt zur Aufnahme der Fremdsprache Chinesisch in das Fächerangebot an unseren Schulen. Angesichts der Bedeutung dieser jüngsten Entwicklung sowie der gegenwärtigen und vorhersehbaren weltpolitischen Konstellationen erachten es die Tagungsteilnehmer als notwendig, die Kultusbehörden, die sinologischen Institutionen und die Öffentlichkeit über die gegenwärtige Lage des Chinesischunterrichts an allgemeinbildenden Schulen im deutschsprachigen Raum zu informieren und auf die zwingenden Konsequenzen zur weiteren Förderung des Fremdsprachenfaches Chinesisch aufmerksam zu machen.

1. Die jüngere Entwicklung und gegenwärtige Situation

Chinesisch ist nicht nur eine der großen Weltsprachen, sondem auch die meistgesprochene Muttersprache überhaupt und eine der offiziellen Amtssprachen der Vereinten Nationen. Daß es nicht schwieriger erlernbar ist als etwa die schon etablierten Wahlpflichtsprachen Spanisch und Russisch, beweisen zahlreiche Erfahrungen mit Chinesisch-Arbeitsgemeinschaften an Schulen während der vergangenen zehn Jahre. Infolge der neuen Öffnungs- und Modernisierungspolitik der VR China hat sich der Chinesischunterricht an westdeutschen Schulen seit dem Beginn der achtziger Jahre rapide entwickelt

Zur Zeit gibt es rund dreißig Gymnasien in sieben Ländern der Bundesrepublik Deutschland und zwei Schulen in der Schweiz mit Chinesisch als freiwilligem Unterrichtsangebot.

2. Argumente für die Fremdsprache Chinesisch

Wenige Jahre vor dem Anbruch des 21 Jahrhunderts darf Chinesisch nicht mehr unter solche Kategorien wie "unerlernbare", "exotische" und "selten gelehrte Fremdsprachen" fallen. Wenn wir die Auseinandersetzung mit China heute versäumen, wird dies uns morgen in mehrfacher Hinsicht schaden. Auf den Weltkarten des kommenden Jahrhunderts wird höchstwahrscheinlich der asiatisch-pazifische Raum im Zentrum liegen und nicht mehr Europa und Amerika. Nicht mehr der G7-Club wird die Weltwirtschaft steuern, sondern die Gemeinschaft der ostasiatischen Mächte unter der Führung Chinas. Mit 12,8 Prozent hat die VR China 1992 das höchste Wirtschaftswachstum der Welt erreicht, weshalb man heute vom "Chinesischen Wirtschaftswunder" spricht. Bereits in den nächsten Jahren wird das chinesische Festland, die heutige Volksrepublik China, zusammen mit den asiatischen Wohlstandszentren Hongkong und Macao und voraussichtlich auch mit Taiwan einen großchinesischen Wirtschaftsverband bilden, der die Entwicklung in Asien und die Weltpolitik maßgeblich mitgestalten wird.

Wirtschaftliche Erwägungen dürfen aber nicht die ausschließlichen Argumente für die Beschäftigung der jüngeren Generation mit der chinesischen Sprache und Kultur liefern. Verständlicherweise haben die jüngsten historischen Umwälzungen dazu geführt, daß die deutsche Einheit und das Zusammenwachsen Europas die Tagespolitik bestimmen. Dies darf aber nicht in eine Neuauflage abendländisch-eurozentristischen Denkens ausarten. Um die Jugend in verantwortungsvoller Weise auf die veränderten Realitäten in der Welt in ein oder zwei Jahrzehnten vorzubereiten, muß das Thema Ostasien an unseren Schulen wesentlich mehr bedeuten als einige marginale Stunden im Geschichts- und Geographieunterricht.

Chinesisch öffnet den Schülerinnen und Schülern nicht nur den Zugang zu einer wichtigen außereuropäischen und von vertrauten Denkkategorien entfernten Fremdsprache, sondern auch zur Kultur und Lebenswirklichkeit eines Fünftels der Menschheit. China hat die längste und umfangreichste Literaturtradition aufzuweisen. Dieses bisher im Westen nur bruchstückhaft zur Kenntnis genommene literarisch-philosophische Erbe ist ein wichtiger Erfahrungsschatz für die Menschheit.

Abiturienten, die sich in ihrer beruflichen Ausbildung - etwa im Rahmen eines Sinologiestudiums - auf China spezialisieren, müssen in der Regel ohne sprachliche und landeskundliche Vorkenntnisse damit beginnen. Dies und nicht die angeblich immense Schwierigkeit der chinesischen Sprache ist die eigentliche Ursache dafür, daß es in Deutschland so wenige gute Experten gibt, die ohne Sprachbarrieren China "von innen" zu verstehen imstande sind und die Fähigkeit besitzen, als interkulturelle und sprachliche Mittler zwischen beiden Völkern zu fungieren. Das Sinologie- und Chinesischstudium ist heute viel zu umfassend und ballastreich geworden, als daß innerhalb einer akzeptablen Studienzeit alle erforderlichen Grundkenntnisse erworben werden könnten. Deshalb müssen schon in der Schule entsprechende Möglichkeiten geschaffen werden, systematisches Wissen über die chinesische Sprache und Kultur zu vermitteln.

ln ein bis zwei Jahrzehnten wird Chinesisch eine annähernd vergleichbare Rolle wie die Weltsprachen Englisch und Französisch spielen. Dafür gilt es jetzt, Vorbereitungen zu treffen. Unseres Erachtens müssen möglichst umgehend ernsthafte Maßnahmen zur Integration des Chinesischen als selbstverständliches Angebot in den Fächerkanon an Gymnasien in Erwägung gezogen werden. Dies bedeutet keinen Verdrängungswettbewerb mit anderen schulischen Fremdsprachen. Wir verstehen dies im Sinne einer Diversifizierung und Bereicherung des Unterrichtsangebots, die für die Weltbürger von morgen unumgänglich ist und zugleich einzelnen Schulen Chancen zur Profilierung gibt.

3. Die bestehenden Probleme und Vorschläge zu ihrer Lösung

Da Chinesisch an den Schulen bislang fast ausschließlich in Form von freiwilligen Chinesisch-Arbeitsgemeinschaften angeboten wird, ergibt sich eine Reihe von Problemen, die für den Widerspruch zwischen der heutigen und zukünftigen Bedeutung dieser Sprache im internationalen Kontext einerseits und ihrem untergeordneten Status im Kanon der Fremdsprachenfächer an unseren Schulen andererseits symptomatisch sind. Folgende Themenbereiche stehen zur Diskussion:

1. Oualifikation der Lehrkräfte:

Die gegenwärtig an den Schulen tätigen Chinesisch-Lehrkräfte bestehen im wesentlichen aus drei Gruppen: (1) hauptberufliche Lehrer mit sinologischer Zusatzausbildung und/oder mit China-Erfahrungen, (2) ausgebildete Sinologen, die in freiwilliger, nebenberuflicher oder nebenamtlicher Funktion eine Chinesisch-AG übernommen haben, (3) chinesische Muttersprachler, darunter meist Studierende oder Gastwissenschaftler, die sich teils nur vorübergehend in Deutschland aufhalten. Während bei der ersten Gruppe Defizite unterschiedlichen Grades bei der sprachlichen und landeskundlichen Qualifikation festzustellen sind, handelt es sich bei den beiden übrigen Gruppen größtenteils um Personen ohne pädagogische Ausbildung. Obgleich es in Deutschland, der Schweiz und Österreich nahezu dreißig universitäre sinologische Einrichtungen gibt, existiert bis heute kein einziger Schwerpunkt zur Didaktik der chinesischen Sprache an einer Universität im deutschsprachigen Raum.

Die Etablierung des Schulfaches Chinesisch setzt die Institutionalisierung der Aus- und Fortbildung von Chinesisch-Lehrkräften voraus, mit dem Ziel, die gegenwärtigen fachlich-pädagogischen Qualifikationsdifferenzen abzubauen und einheitliche Standards zu schaffen, wie sie in den anderen Fremdsprachenfächern gelten. Eine solche Institutionalisierung müßte drei Komponenten enthalten:

(1) Weiterqualifikationsmöglichkeiten für die jetzt tätigen Chinesisch-Lehrkräfte,

(2) Festlegung einer Erweiterungsprüfung für das Fach Chinesisch (wie dies in Bayern bereits geschehen ist), unterschieden nach den beiden Zielgruppen hauptamtlicher Lehrkräfte und graduierter Sinologen,

(3) Lehramtsstudiengang für künftige Chinesischlehrer/innen

Die Neueinrichtung entsprechender universitärer Studiengänge schließt natürlich nicht aus, daß bestehende Möglichkeiten zur Lehrerweiterqualifikation weiterhin genutzt bzw. integriert werden, wie z. B. die ab 1993 durchgeführten Lehrerfortbildungskurse am Sinicum des Landesspracheninstituts Nordrhein-Westfalen in Bochum.

Insbesondere in den Bundesländern, in denen Lehrpläne für Chinesisch ausgearbeitet wurden bzw. werden (z. Zt. in Nordrhein-Westfalen, Bremen und Bayern), müßten baldmöglichst universitäre Institutionen für den Studiengang Chinesisch für Lehramtskandidaten und zur Lehrerweiterqualifikation eingerichtet werden. Darüber hinaus wäre eine Kopplung der fachlich-pädagogischen Ausbildung mit didaktisch-linguistischer Grundlagenforschung sinnvoll, die in der Sinologie des deutschsprachigen Raumes keinerlei Tradition hat und daher jene um eine neue Domäne bereichern würde.

2. Lehrmaterialien:

Die bisher an den Schulen verwendeten Lehrmaterialien für Chinesisch stammen meist aus dem Erwachsenenunterricht, sind oft in englischer Sprache abgefaßt und nicht oder nur bedingt für Schülerinnen und Schüler mit Deutsch als Muttersprache geeignet. Für diese Zielgruppe müssen Lehrbücher völlig neu erstellt und sonstige Unterrichtsmaterialien verfügbar gemacht werden.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Entwicklung bzw. Auswahl altersgemäßer Texte, in denen sprachliche und soziokulturelle Lerninhalte stärker als bisher integriert und thematisiert sind. Ausgehend von der in den nordrhein-westfälischen Richtlinien präsentierten Wortschatzliste wäre zunächst die Ausarbeitung und Publikation eines sinnvoll gegliederten Grundwortschatzes mit einem deutsch-chinesischen/chinesisch-deutschen Wörterverzeichnis dringend. Ein künftiges Lehrwerk sollte auch begleitende Materialien enthalten, etwa ein Grammatikheft und ein Lehrerhandbuch, und vielfältige didaktische Hilfsmittel nutzen (Schriftzeichenkarten und -spiele, Hörspiele, Dias, Filme, Computerprogramme usw.).

Angesichts großer Informationsdefizite bezüglich der Verfügbarkeit und Selektion von Lehrmaterialien unter den Chinesischlehrkräften kommt der Schaffung einer zentralen Materialsammlung, möglichst in Verbindung mit der Institutionalisierung eines universitären Schwerpunktes für die Didaktik des Chinesischen, eine große Bedeutung zu.

3. Darstellung Chinas / des Chinesischen in Schulbüchern:

Im Sinne der anzustrebenden Integration sprachlicher und landeskundlicher Inhalte und im Interesse einer fächerübergreifenden Zusammenarbeit im Kontext der Etablierung des Schulfaches Chinesisch sind Konzepte zu erarbeiten, wie das Thema China/Chinesisch in den drei Bereichen der sprachlich-literarisch-künstlerischen, der gesellschaftswissenschaftlichen und der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer besser und systematischer als bisher dargestellt und behandelt werden kann.

Die Tagungsteilnehmer regen hierzu ein Projekt an, das in Kooperation mit relevanten Institutionen länderübergreifend durchzuführen wäre.

4 Curriculum:

Von den jetzt in Nordrhein-Westfalen vorliegenden Richtlinien für Chinesisch in der gymnasialen Oberstufe erwarten die Chinesischlehrkräfte im deutschsprachigen Raum folgende Impulse:

(1) die Einrichtung des Grundkursfaches Chinesisch als Modell in NRW ab 1994/95 zur Erprobung der Richtlinien nach einem entsprechenden Antrag nordrhein-westfälischer Schulen und der Genehmigung durch das Kultusministerium in Düsseldorf;

(2) positive Auswirkungen auf begonnene oder geplante Lehrplanentwicklungen in anderen Bundesländem (Bayern, Bremen, Hamburg) und dortige Einrichtungen des Grundkursfaches Chinesisch als Modell;

(3) Anstoß zur Richtlinienentwicklung in den übrigen deutschen Bundesländem, in denen Chinesischunterricht bereits als Arbeitsgemeinschaft in der Schule stattfindet, (Baden-Württemberg, Berlin, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland) sowie in der Schweiz und Österreich.

[vom Fachverband Chinesisch e. V und den Teilnehmern der Tagung "China/Chinesisch in Schule und Unterricht" verfaßt und im September 1993 an die Kultusministerien und sinologischen Institute in Deutschland, Österreich und der Schweiz verschickt]

Chinesisch im Aufwind

Bericht vom IV. Internationalen Symposium für Chinesisch als Fremdsprache 11.-15. August 1993 in Beijing

Das vierte der regulär alle drei Jahre durchzuführenden Symposien (Di si jie guoji Hanyu jiaoxue taolunhui) übertraf, was die Teilnehmerzahl (mehr als 350, davon etwa die Hälfte aus dem Ausland), die von diesen repräsentierten Länder (25, einschließlich Hongkong, Macao und Taiwan), die referierten Beiträge (über 220) und auch die Themenvielfalt anbetraf, die bisherigen Veranstaltungen von 1985, 1987 und 1990, die alle in Beijing stattgefunden hatten. Diese größte internationale Konferenz, die jemals zum Chinesischen als Fremdsprache (ChaF) durchgeführt wurde, brachte auch in ihrem inhaltlichen Verlauf zum Ausdruck, daß dieses Fachgebiet nun endgültig aus den Kinderschuhen entwachsen und im Begnff ist, sich in ein breites Spektrum wissenschaftlicher Aktivitätsfelder zu verzweigen. Rang die neue Disziplin noch 1985 und 1987 merklich um Selbstprofilierung und Anerkennung und war 1990 noch überschattet vom 4. Juni ein Jahr zuvor, so signalisierte der Sommer 1993 eine weltweite neue Blütezeit. Es wurde erkennbar, daß die Zahl der Studierenden und Zentren der Fremdsprache Chinesisch in allen Erdteilen zügig wächst.

In bewährter Weise haben als Veranstalter wieder die International Society for Chinese Language Teaching = ISCLT (Shijie Hanyu Jiaoxue Xuehui), die Chinesische Gesellschaft für ChaF (Zhongguo Duiwai Hanyu Jiaoxue Xuehui) und die Hochschule für Sprache und Kultur Beijing (Beijing Yuyan Xueyuan) mit einem umfangreichen Organisationsstab zusammengearbeitet. Wie schon das 1. und 2. Symposium fand auch diese Begegnung im nordwestlich von Beijing gelegenen Xiangshan-Hotel (Fragrance Hill Hotel) statt, einem ursprünglich idealen Klausurort im Grünen mit noch erträglichen Temperaturen - wenn nicht seit der letzten Konferenz dort inzwischen der Schlendrian Einzug gehalten hätte, weshalb diesmal allgemeine Unzufriedenheit über Service und Essen herrschten.

Die fünf Tage (und Nächte) zwischen 11. August morgens und 15. August abends waren nicht nur durch Plenumsveranstaltungen am ersten und letzten Tag und dazwischen durch sechs thematisch gegliederte, parallel tagende Gruppen angefüllt, sondern darüber hinaus mit einer Vielzahl von organisatorischen Sitzungen, Projektgesprächen und Empfängen. Letztere blieben auf den Einspruch früherer Teilnehmer hin relativ beschränkt, und auch die Staatsvertreter verhielten sich äußerst zurückhaltend. Lediglich am letzten Abend gab die Staatliche Erziehungskommission (Guojia Jiaoyu Weiyuanhui) ein vergleichsweise bescheidenes Bankett. Für einige Sitzungen und persönliche Kontakte blieb meist nur noch die Zeitlücke kurz vor Mitternacht. Nicht zuletzt unternahm man zwischendurch noch den Versuch, auf den Buch- und Medienausstellungen im und um das Hotelfoyer sich kursorisch über den rasch expandierenden ChaF-Markt zu informieren und im selektiven Schnellverfahren die wichtigsten Neuerscheinungen zu besorgen, um diese an Ort und Stelle verpacken und abschicken zu lassen.

Die durchschnittlich zwanzigminütigen Referate und anschließenden Kurzdiskussionen umfaßten wiederum die ganze Palette des Fachgebietes ChaF. Trotz jeweiliger resümierender Berichterstattung der Gruppenleiter war es diesmal besonders schwierig, einen Überblick zu gewinnen. Im wesentlichen lassen sich jedoch folgende große Themenkomplexe zusammenfassen: 1. Linguistische Forschung (Grammatik, Phonetik, Lexikologie, Schriftzeichen-Graphemik, Dialektologie), 2. Didaktikforschung und Methodik des ChaF (Sprachlehr- und -lernforschung, Lehrmaterialien und Lernmedien, Curriculum für unterschiedliche Kursarten und -stufen, Kontrastiv- und Fehlerforschung, Leistungsmessung), 3. Sprache und Kultur.

Gemäß neueren Tendenzen in der allgemeinen Fremdsprachenvermittlung und auch im ChaF fand der letztere Komplex erstmals große Beachtung, insbesondere bei den chinesischen Kollegen, die neuerdings aufgrund von Kritik an der mangelhaften Behandlung der Landeskunde in Chinesischlehrwerken und auch wegen zunehmender eigener Auslandserfahrungen vermehrt über Fragen der Vermittlung soziokultureller Inhalte im Sprachunterricht und über Probleme interkultureller Kommunikation reflektieren. Dieser Schwerpunkt manifestiert sich in der Begriffsbildung "Didaktik der chinesischen Sprache und Kultur" (Hanyuyan wenhua jiaoxue) und steht sicher in engem Zusammenhang mit neueren Initiativen der chinesischen Bildungspolitik zur systematischen weltweiten Förderung des Sektors ChaF. Dementsprechend ist in den kommenden Jahren eine auswärtige Kulturpolitik der VR China zu erwarten, die naturgemäß nicht allein auf die internationale Verbreitung chinesischer Sprachkenntnisse abzielt, sondern auch die Werbung um das eigene Kulturerbe als wesentlichen Inhalt einbezieht. Ganz in diesem Sinne äußerte sich auch der neue Erziehungsminister Zhu Kaixuan in seiner kurzen Eröffnungsansprache.

Weitere thematische Charakteristika dieses Symposiums waren die stärkere Berücksichtigung der modernen Syntaxforschung, Konzepte für die Reform des Grammatiksystems in ChaF, die kontrastive und von Einzelsprachen ausgehende linguistisch-didaktische Forschung, neuere Ansätze der Schriftzeichenforschung und -didaktik, die verbesserte Planung lernzielorientierter und fachspezifischer Lehrmaterialien unter besonderer Berücksichtigung der Mittel- und Oberstufe, computergestützter und multimedialer Unterricht sowie die Entwicklung und Durchführung einer international standardisierten Chinesischprüfung unter der Bezeichnung HSK (Hanyu Shuiping Kaoshi). Dem Thema HSK wurde ein breiterer Diskussionsraum gewidmet, zumal die Prüfung 1994 erstmals auch in Europa durchgeführt werden soll.

Während des Symposiums veranstaltete die ISCLT mehrere organisatorische Sitzungen. Bereits einen Tag vor Konferenzbeginn trat der 1990 gewählte geschäftsführende Vorstand (changwu lishihui) zusammen, um die Arbeit der ISCLT während der letzten drei Jahre zu bilanzieren und das Procedere der in den folgenden Tagen einzuberufenden Versammlungen und Neuwahlen des erweiterten Vorstandes (lishihui), der länderorientierten Vertretung der über 600 Mitglieder der ISCLT, und der Mitgliederversammlung mit den anstehenden Neuwahlen der Organe der Gesellschaft festzulegen. Wenngleich unter großem Zeitdruck und mit Sitzungen bis spät in die Nacht, so konnten doch alle Tagesordnungspunkte dank des unermüdlichen 24-Stunden-Einsatzes der Mitarbeiter des Beijing Yuyan Xueyuan planmäßig und in demokratischer Verfahrensweise behandelt werden.

Im Hinblick auf die wachsende Zahl von Mitgliedern und beteiligten Ländern in der ISCLT wurde auf der Mitgliederversammlung am Abend des vorletzten Konferenztages zunächst der neue erweiterte Vorstand mit 61 Vertretern aus 23 Ländern gewählt. Hiervon gehören sechs Personen dem deutschsprachigen Raum an: Heidi Brexendorff, Klaus Kaden, Peter Kupfer, Wolfgang Lippert (Deutschland), Richard Trappl (Österreich) und Anton Lachner (Schweiz). Der aus anschließenden Wahlen daraus hervorgegangene neue geschäftsführende Vorstand besteht aus 12 Vertretern aus Amerika, Asien, Australien und Europa. Nach dem Tod des früheren Vorsitzenden der ISCLT Zhu Dexi (VRCh) wurde LÜ Bisong (VRCh) an seine Stelle gewählt, als stellvertretende Vorsitzende Timothy Light (USA), Lu Shaochang (Singapur) und Tong Bingzheng (Großbritannien), als Geschäftsführer Li Weiji (VRCh) sowie Chinas berühmter Sprachwissenschaftler Lü Shuxiang als Ehrenvorsitzender und vier Berater, die sich um die ideelle und materielle Förderung der ISCLT verdient gemacht hatten. Schließlich wurde beschlossen, das V. Internationale Symposium im August 1996 wieder in China abzuhalten.

Peter Kupfer